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Ulrich Behmann

Tote soll unterirdisch umgebettet werden

Jüdische Kultusgemeinde Hameln-Pyrmon

http://www.dewezet.de/portal/lokales/aktuell-vor-ort/hameln_Tote-soll-unterirdisch-umgebettet-werden-_arid,228107.html

Hameln. Als der 71-jährige Mark Khanin am ersten Todestag seiner Ehefrau Moussia Ponizovskaia Blumen auf das Grab legen wollte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Direkt neben der verstorbenen Moussia war drei Monate zuvor eine ihm nicht bekannte Frau beerdigt worden – exakt auf dem Platz, den er für sich reserviert glaubte. Khanin ist jüdischer Mitbürger. Die Tradition, sagt er, verbiete es, das Grab eines Angehörigen früher als zwölf Monate nach dessen Ableben zu besuchen. Deshalb habe er so spät von dem möglichen Irrtum, der auf dem Jüdischen Friedhof an der Scharnhorststraße geschehen ist, erfahren.

Khanin möchte, dass die Tote umgebettet wird. „Reihe 2, Platz 19 – dort möchte ich meine letzte Ruhe finden. Direkt neben meiner geliebten Frau“, sagt er. Weil sein Anliegen seiner Meinung nach bei der Jüdischen Kultusgemeinde Hameln, der er angehört, und beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Niedersachsen auf Unverständnis stößt, hat der Senior einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Thomas Wirbuleit werde ihm zu seinem Recht verhelfen, glaubt der Hamelner. Der Anwalt hat schon eine Klage vorbereitet, die demnächst das Verwaltungsgericht Hannover beschäftigen könnte. Khanin möchte – so heißt es im Juristendeutsch – „seinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen“. Soll heißen: Er will die Umbettung der Leiche von Platz 19 erreichen. „Bevor wir diesen Schritt gehen, werden wir versuchen, uns in dieser delikaten Angelegenheit außergerichtlich zu einigen“, sagt Anwalt Wirbuleit. Um einen richterlichen Beschluss, der für eine Exhumierung erforderlich ist, zu vermeiden, schlägt der Jurist vor, neben dem Grab eine Grube auszuheben, von der aus der Sarg dann quasi unterirdisch um ein, zwei Meter verrückt werden könnte.

Khanin, der sagt, er leide sehr unter der für ihn unerträglichen Situation, wäre damit gedient. Was die Angehörigen der Verstorbenen Galina A. dazu sagen werden, weiß niemand. Der Ehemann soll sich in Aserbaidschan aufhalten, die Tochter im Kreis Hameln-Pyrmont leben. Inzwischen glaubt Mark Khanin nicht mehr an einen Zufall. Für die Beerdigung von Frau A. auf „seinem Platz“ macht er den früheren 1. Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Hameln, Dr. Jakov Bondar, verantwortlich. „Dieser Mann steckt hinter der ganzen Sache. Er hat Kummer und Leid über mich gebracht“, behauptet der 71-Jährige. Als Beweis präsentiert er ein Schriftstück, das mit „Sterberegister Nr.“ überschrieben ist, und per Fax vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen abgeschickt worden ist. Darauf ist handschriftlich vermerkt, dass seine Frau Moussia am 3. Juli 2003 um 12.30 Uhr auf Platz 18 beigesetzt werden soll. Unter „Reservierung“ ist die Zahl 19 eingetragen worden. Das Bestattungsunternehmen, so steht es auf dem Papier, sei von der „Jüdischen Gemeinde, Herr Dr. J. Bondar“ beauftragt worden.

„Wie konnte es passieren, dass auf der für mich vorgesehenen Grabstelle im März 2004 eine Frau, die nicht einmal Mitglied unserer Gemeinde war, beerdigt wurde?“, fragt Mark Khanin verbittert. Er und Freunde aus der Jüdischen Kultusgemeinde mutmaßen, die Belegung des Platzes Nr. 19 mit einer Fremden sei nicht aus Versehen geschehen. Ohne es beweisen zu können, spricht die Gruppe um Mark Khanin aus, was sie vermutet: „Rache und Vorteilsnahme sind die Motive“, sagt Boris Hochfeld (81), lächelt wie ein Wissender und fügt hinzu: „Ein Versehen war das jedenfalls nicht.“

Seit Jahren schon liegen jüdische Mitbürger im Clinch mit Dr. Jakov Bondar, der seit 2005 nicht mehr die Funktion des 1. Vorsitzenden innehat, wohl aber das Amt ausfüllte, als Khanins Ehefrau Moussia starb. Beide Parteien haben Strafanzeigen gestellt und beschäftigen seit langer Zeit Polizei und Staatsanwaltschaft. Mit einer Ausnahme sind bislang alle Ermittlungsverfahren gegen Dr. Jakov Bondar eingestellt worden. Beim Fachkommissariat für Betrugsdelikte in Hameln sind Polizisten dem von Mark Khanin erhobenen Vorwurf nachgegangen, Dr. Bondar habe vom Ehemann der verstorbenen Frau A. Geld für Platz Nr. 19 angenommen. Die Polizei ermittelt wegen Verdachts der Vorteilsnahme. Das Ergebnis ist offen, da der Ehemann der Toten an einem unbekannten Ort in Aserbaidschan leben soll und bislang nicht über Interpol als Zeuge befragt werden konnte. Dr. Bondar äußert sich über seinen Rechtsanwalt Rüdiger D. Hochstädt zu den aus seiner Sicht aus der Luft gegriffenen Vorwürfen seiner Gemeindemitglieder. Sein Mandant wisse nichts von einer Reservierung, schreibt der Anwalt in einer E-Mail an die Dewezet. „Als Frau A. verstarb, meldete ihre Tochter dies direkt dem Landesverband. Hier war weder Herr Bondar noch sonst ein Vorstandsmitglied beteiligt worden.“ Hochstädt stellt klar: „Herr Bondar hat zu keinem Zeitpunkt Geld für Beerdigungen oder Grabreservierungen entgegengenommen.“

Der Rechtsanwalt verweist auf Verträge aus den Jahren 2001 und 2004, die zwischen der Jüdischen Kultusgemeinde und dem Landesverband geschlossen wurden. Danach „obliegt der Gemeinde die landschaftsgärtnerische Pflege“ des Jüdischen Friedhofes an der Scharnhorststraße. Seit 2004 sei die Jüdische Kultusgemeinde für den „Schließdienst“ zuständig. „Das ist Blödsinn“, schimpfen Mark Khanin und Alla Samarina, die für ihn aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt. In einem Schreiben vom 18. Februar 2009 an das Amtsgericht Hameln (liegt der Redaktion vor) habe der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, Michael Fürst, im Zusammenhang mit einem Rechtsstreit festgestellt: „Die Belegung des Jüdischen Friedhofs in Hameln erfolgt durch die Jüdische Kultusgemeinde im Landkreis Hameln-Pyrmont.“ Dr. Jakov Bondar sei sehr wohl zuständig gewesen, als er noch Vorsitzender war, meint Mark Khanin. Und auch später noch dürfte das so gewesen sein. In einem Interview mit Dewezet-Redakteuren sagte Bondar, damals Geschäftsführer der Gemeinde, im Januar 2007: „Darüber hinaus betreue ich den Jüdischen Friedhof in Hameln und organisiere beispielsweise die dort stattfindenden Beerdigungen. Dafür erhalte ich monatlich 150 Euro, die vom Landesverband finanziert werden.“ Anwalt Hochstädt teilt für seinen Mandanten Dr. Bondar mit: „Zum Zeitpunkt, als der Tod von Frau P. (Ehefrau von Mark Khanin) gemeldet wurde, befand sich Herr Bondar nicht in der Gemeinde, sodass ein anderes Gemeindemitglied das Formular (Meldung eines Todesfalls an den Landesverband) ausgefüllt hat. Wer das war, weiß Herr Bondar nicht.“

Der Jüdische Friedhof an der Scharnhorststraße in Hameln. Hier ruhen auch Moussia Ponizovskaia (Einzelgrab, links) und Galina A. (Doppelgrab). Mark Khanin möchte Galina A. umbetten lassen. Er sagt: „Nummer 19 ist mein Platz. Dort, neben meiner geliebten Frau, möchte ich meine letzte Ruhe finden.“

Mark Khanin pflegt das Grab seiner Frau Moussia. „Auf dem für mich reservierten Platz liegt eine Tote, die ich gar nicht kenne. Die muss woanders beerdigt werden“, sagt er.